Folgendes schrieb er über seine Rückkehr:

Heimgekehrt!

Erwartungsvoll mit gemischten Gefühlen betritt ein heimkehrender Kriegsgefangener nach langer Zeit wieder bremischen Boden. Gefühle, die eigentlich himmelhochjauchzend sein sollten, ähneln jetzt einer elenden Katerstimmung. Entfremdet steht er mit seinen Siebensachen auf dem heimatlichen Bahnhof, unfähig sich zu freuen. Sechs Jahre Landsknechtleben, zwei Jahre Stacheldrahtdasein müssen erst abgeschüttelt werden. Eine verpfuschte Ära, eine Zeit, in der man Kanonen mit Butter verwechselte, hat unauslöschbare Spuren hinterlassen. Wie eine dunkle Wolke legt sich das Geschehen dieser Jahre auf das gebräunte Antlitz des Heimkehrers. Aus der Bahnhofshalle tretend offenbart sich ihm nicht der gewohnte, ehemals so bunte Alltag der Hansestadt, sondern ein durch die Kriegsfurie grau gefärbtes, zerstörtes Bild. Grau erscheinen ihm die Angesichter jener Menschen, die geschäftig und doch gequält – müde einherrennen auf der Jagd nach Kalorien. Selbst die meist unbestrumpften, delikat rasierten Mädchenbeine dünken ihm grau getüncht und wirken gehaltlos. Erste behördliche Anweisungen, sowie eine Dosis Lebensmittelmarken empfängt er in einem der schicksalhaften Räume des Lloydbahnhofes. Der erste Schritt in das zivile Arbeitsleben ist getan. Dem Heimkehrer deucht, nur eine Urlaubsanmeldung getätigt zu haben. Ein neues Bild ist die Straßenbahn. Einige Glasscheiben sind durch rote Pappen ersetzt worden. Bedächtig schieben sich die gelben Gehäuse mit ihren rotbraunen Kulissen durch eine Ruinengasse, durch das grüne Tor der Wallanlage zum Domshof. Es winkt kein Götterbote mit dem Friedenszweig ein Wiedersehen. Er und die plätschernde Nymphenschar, Poseidon und der wackere Kauffahrer schmolzen für nichtswürdige Zwecke. Starre, leblose Fassaden umsäumen den Domshof, verunziert durch Stacheldraht und militärische Vehikel. Einzigallein streckt der ehrwürdige Dom seine grünen Flächen gen Himmel als ein letztes Wahrzeichen der beinahe turmlos gewordenen Stadt. Roland, jünger denn je, blickt wieder befreit zum Osten. Zwischen seinen großen Füßen trampelt ein Knirps auf dem abgenutzten Gesicht des bedeutsamen Krüppels. Der Riese ist nicht verwundert. Jahrhunderte erlebte und überdauerte er. Nichts kann seine stoische, steinerne Ruhe erschüttern, auch nicht die prahlenden, benzinstinkenden Wagen seitlich zu seinen Füßen in Reih’ und Glied. Verschwunden sind die farbig bewegten Marktstände, deren Recht und Schutz er einst verbürgte. Am zweiten Rathausbogen begrüßt der Rückkehrer die verewigte Glucke mit ihren Küchlein. Still erinnert er sich der Sage, die mit dieser Henne verbunden ist. Das alte, behäbige Rathaus, seine flüsternden, weinduftreichen Gewölbe sind zur Kneipe degradiert worden. Müßig, ein wenig erstaunt mögen die alten Kaiser von der Decke des Saales das Gehabe der fremden Söldner betrachten. Am leeren Börsenfenster stützt sich nach wie vor der junge niederdeutsche Bauer auf seinen Spaten. Ein zweites Mal hat er am Markt zu Bremen seinen friesischen Dickschädel verlieren müssen. Es mutet den Heimkehrer an, als sei die Baumwollbörse ein sterbender kurarmiger Koloß, der wimmelnde Menschenhaufen einsaugt und wieder ausstößt. Staubig wirbelt hier Bürokratismus schleierhafte Kaskaden. Verordnungen und Bestimmungen wetteifern um den Sieg. Früher entspann sich dort der Baumwollmarkt. Heute wird hier der Arbeitsmarkt geregelt. Diese zentrale hanseatische Geschäftigkeit wird ihr wahres Gesicht zurückerhalten, wenn in ihren Räumen wieder Baumwolle gehandelt wird. Die Drahtverhauperspektive erlischt langsam. Dem Heimgekehrten wird es bewusst. Er weiß, ein anderes, noch unfassbares Sichten wird heranreifen. Heimgekehrt aus England kommt ein Suchender zurück. Er sucht ein Haus, er findet es nicht mehr. Er sucht seine Schulfreunde, sie sind tot oder der Osten hält sie verschluckt. Er wird weiter suchen müssen auf neuen Pfaden, nach neuen Wertmaßstäben. Mühsam wird er die düstere Pein der Kriegsjahre, eine Epoche der Uferlosigkeit, überbrücken, um frische Wurzeln in die heimatliche, verbrannte Erde zu schlagen. Mut zum Sterben hat er bewiesen. Jetzt gilt es Mut zum Leben zu beweisen inmitten zerstörter Fassaden deutscher Kultur und der geistigen Trümmer ihrer Fundamente. September 46

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