Ein halbes Jahr ist für Kinder eine lange Zeit. Als unsere Schwester geboren wurde, hatten wir uns wieder beruhigt. Wir fuhren mit Oma, Opa und Papa in die Ferien nach Holland. Am weißen Strand von Ameland zelteten wir. Mama musste in Bremen bleiben, da die Geburt bevor stand. Sie machte an langen Abenden die Buchführung ihrer Firma zu Hause und litt eines Nachts unter starken Rückenschmerzen. Nach einiger Zeit wurde ihr klar, dass das Wehen waren, und sie rief einen Krankenwagen. Der kam und kam nicht. Mama ging mit ihrer Tasche nach draußen und sah den Rot-Kreuz-Wagen ganz hinten in der Straße wenden und wegfahren. Sie winkte, rief laut und rannte hinter dem Auto her. Endlich wurde sie bemerkt. Das Baby hatte es dann ganz eilig, was ja immerhin von Vorteil ist. Papa fuhr nach Bremen zurück und war mit Mutter und Kind nach sieben Tagen wieder bei uns auf Ameland. Da es windig und kalt war, stillte Mama das Baby im Auto. Wir hatten unsere Mutter sehr vermisst, aber nun hatte sie auch kaum Zeit für uns. Zum Glück waren ja Oma und Opa da. Unsere Schwester wurde Anja von Ameland genannt.

Mama hörte auf zu arbeiten und kümmerte sich um Anja. Papa war noch im Sauerland beschäftigt. Er kehrte erst 1964 nach Bremen zurück und begann für die Bremer Nachrichten zu schreiben. Wir hatten uns damit abgefunden, auf unseren Dackelwelpen verzichten zu müssen und trösteten uns mit diversen anderen Tieren. Ein Spatzenbaby, welches aus seinem Nest gefallen war, nackt mit einem riesigen Schnabel, setzten wir in ein Osterkörbchen mit grüner Graswolle, besorgten lebende Mehlwürmer und fütterten das Vögelchen mit einer Pinzette. Es gedieh recht gut, bis zu dem Unglücksmorgen, als wir unseren Spatz tot auf den Fußbodenplatten fanden, weil das Körbchen in der Nacht umgekippt war. Schildkröten besaßen wir häufiger. Sie kamen aber fatalerweise oft abhanden, da wir ihnen etwas Gutes tun wollten, sie aus ihrem Gehege befreiten und im Garten frei grasen ließen. Regelmäßig unterschätzen wir die Geschwindigkeit, mit der sie sich fortbewegen konnten, so dass die ganze Nachbarschaft nach ihnen abgesucht werden musste, oftmals ohne Erfolg. Verschiedene Vögel besaßen wir so lange, bis ein kleines, buntes Finkenpärchen durch unsere Schuld tragisch zu Tode kam. Es war Weihnachten mit vielen Aufregungen und Feiern. Mama dachte, wir hätten die Vögel gefüttert, und wir dachten, sie hätte sich um die Tiere gekümmert. Nach dem dritten Tag lagen sie verhungert in ihrem Käfig. Eines Tages rief Papa an, er würde einen Bericht über ein Bauprojekt schreiben und jetzt gerade hätte ein Bagger bei der Besichtigung der Baustelle ein Hasennest freigelegt. Wir eilten hin und retteten ein Hasenbaby, indem wir es mit nach Hause nahmen und es in einen Käfig steckten. Dieser hatte auf der Oberseite eine verschließbare Öffnung, durch die wir das Futter hineinreichten. Bei so einer Gelegenheit versuchte der Hase, der schon fast erwachsen war, seine Freiheit wiederzuerlangen. Ich packte ihn noch am Bein, aber er zappelte heftig und stieß ganz unglaubliche Schreie aus. So ließ ich ihn los. Sein weiteres Leben hat er wohl auf der Pferderennbahn verbracht.

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