Unsere Schule war ursprünglich ein reines Jungengymnasium gewesen, und so waren wir Mädchen immer noch in der Minderzahl und nur geduldet und nicht unbedingt erwünscht. Die Mitschüler kamen zum großen Teil aus der besseren Gesellschaft Bremens. Ein Mädchen stammte aus der Familie Jakobs Kaffee, ein anderes von den Bremer Silberwarenfabriken, da waren Töchter von Ärzten, Rechtsanwälten und Immobilienhaien. Wir stammten nur aus einer unvermögenden, kommunistisch angehauchten Journalistenfamilie, fühlten uns aber keineswegs von den anderen geringschätzig behandelt. Unsere Freundinnen aus den Villen kamen gern in unser kleines Reihenhaus. Wir erfuhren von ihnen, wie man großzügig Geld ausgeben kann ohne Bedenken zu haben, was wir allerdings nie nachahmten; sie erlebten bei uns Gemütlichkeit und Diskussionsfreude.

Wenn wir aus der Schule kamen, mussten wir erst mal mit Mama in der Küche zu Mittag essen. Danach verzogen Rixa und ich uns in unser gemeinsames Zimmer. Wir bewohnten das ehemalige Elternschlafzimmer, welches größer als das Kinderzimmer war und ein Fenster zum Garten und der Rennbahn hatte. Papa hatte auf eine Wand ein riesengroßes Rhinozeros samt Urwald und Vögeln in bunten Farben gemalt. Leider hatte Mama darauf bestanden, dass dieses wieder weiß übertüncht wurde. Rixa und ich fanden das Gemälde wunderschön. Zwei dunkelgrün bezogene Liegen standen über Eck, eine Zimmerseite nahm ein Kleiderschrank ein, an der anderen Wand standen ein altes, dunkles Klavier und davor ein kleinerer Tisch, darüber ein Bücherregal. An diesem Tisch saßen wir uns gegenüber und machten unsere Hausaufgaben oder taten nur so. Oft hatten wir einen Roman auf den Knien, in dem wir fleißig schmökerten, bis wir Mama hörten. Dann beugten wir uns nach vorne über unsere Schulhefte, das Buch verschwand ungesehen unter dem Tisch. Meistens quasselten wir aber unaufhörlich, unterbrachen, um drei Vokabeln zu lernen oder eine Aufgabe zu rechnen und redeten und redeten. So dauerten unsere Hausaufgaben stundenlang, eigentlich den ganzen restlichen Tag, außer, wir hatten etwas Besseres vor. Schularbeiten machen war unser Alibi, sonst hätten wir Mama beim Abtrocknen oder bei der Gartenarbeit helfen müssen, womöglich hätten wir auch noch Babysitten müssen. Trotzdem war Mama häufig beleidigt, weil wir ihr nicht genug halfen. Sie erwartete einfach, dass wir bemerkten, dass wir es erahnten, wenn sie Hilfe nötig hatte. Verzogen wir uns nach oben, sprach sie nicht mehr mit uns, meckerte rum oder befahl im harschen Ton, ganz nach Laune. Dann kam es zum Streit, der hätte vermieden werden können, wenn sie uns nur ruhig aufgefordert hätte, ihr zur Hand zu gehen. Wir hätten auf alle Fälle getan, worum sie uns bat. Hatten wir uns nicht gestritten, rief sie uns nach einiger Zeit herunter, um mit ihr Kaffee zu trinken. Dabei gab es Kakao, Kuchen, Kekse oder ein aufgeschnittenes Marzipanbrot. Diese süße Unterbrechung liebten wir sehr.

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