Bettina wohnte mit vielen Geschwistern in einer großen Villa inmitten eines Parks, der von einer hohen Mauer umgeben war. Auf demselben Grundstück wohnten noch ihre Tante in einem Bungalow und ihre Großmutter in einem Gebäude, das wie ein Gutshaus mit Säulen und Balkon aussah. In diesem Haushalt lernte ich, dass man sich zum Frühstück Spiegeleier mit Mais und Speck briet, dass Eltern im Wohnzimmer beim Kaffeetrinken nicht von den Kindern gestört werden durften, dass man reich sein konnte und doch sparte. Das zeigte sich unter anderem in Bettinas Zimmer. Es war spartanisch eingerichtet mit einem alten Schrank, Bett, Schreibtisch und Stuhl. Der Boden bestand aus Linoleum, kein Teppich. Die Mutter kaufte sich für einen gesellschaftlichen Anlass eine weiße Bluse, trug sie einen Abend lang und tauschte sie am nächsten Tag um, damit sie ihr Geld zurückbekam. Bei der Erziehung der Kinder wurde nicht gespart. Sie lernten Reiten, Fechten oder Klavierspielen. Bei Bettina sah der Fechtunterricht allerdings folgendermaßen aus. Zur Unterrichtsstunde verließ sie ihr Zuhause, tauchte kurz darauf bei uns auf, stellte ihren Degen bei der Treppe ab, klönte, trank mit uns gemütlich Kaffee und machte sich wieder auf den Heimweg, wenn die Stunde beendet war. Ich lernte außerdem noch, dass Perlonstrumpfhosen unfein sind. Fortan trugen wir wieder dunkelblaue oder grüne Kniestrümpfe und dazu passende Faltenröcke. Dies war für mich ungünstig; da ich klein und zierlich war, wirkte ich noch jünger durch diese Kleidung. Bettina dagegen, die mich um einen Kopf überragte, wurde häufig für älter gehalten als sie war. Rixa und ich, Bettina und Christiane, das war Rixas Freundin, wir vier waren häufig bei Bettina oder in ihrem Wochenendhaus in Fischerhude. Inzwischen hatten auch wir ein Wochenendhaus am Silbersee in der Nähe von Bederkesa. Mein Großvater hatte dort ein Holzhaus mit zwei Zimmern und einer Terrasse gekauft. Anfangs fuhren Rixa und ich gern dorthin. Wir spielten auf der Terrasse Tischtennis, machten lange Spaziergänge durch Wald und Moor oder schwammen im nahen See. Unsere Freundin Bettina kam mit uns ins Grüne, und dann lagen wir lange im Gras und sonnten uns oder wir schaukelten um die Wette. Als Rixa und ich einmal Ferien hatten, und die Eltern nicht mit uns zum Silbersee fahren wollten, waren wir dermaßen verärgert, dass wir abends einige Scheiben Brot und Äpfel stibitzten und am nächsten Morgen ganz früh heimlich das Haus verließen, einen Zettel für Mama in die Küche legten und die 60 Kilometer zum Wochenendhaus mit dem Fahrrad fahren wollten. Wir vermuteten, dass die Großeltern dort sein würden und machten uns frohen Mutes auf den Weg. Nachdem wir dreiviertel der Strecke zurückgelegt hatten, fühlten wir uns erschöpft, besonders da uns von der Nordsee her ein steifer Wind entgegen blies. Kurz vor dem Ziel überraschte uns ein Gewitter. Durchnässt und hungrig klopften wir an die Tür, die von Oma geöffnet wurde, zu unserer großen Erleichterung. Essen und Abtrocknen lehnten wir ab, da wir am Silbersee Soldaten begegnet waren, die uns nachgepfiffen hatten. Wir schlüpften in unsere Bikinis, rannten durch den Regen zum See und sprangen bei eisigen Temperaturen, es war Anfang April, ins Wasser. Die Soldaten grölten, klatschten und winkten uns zu. Wir waren mächtig stolz auf uns und ließen uns etwas später erfrischt und zufrieden von Oma bekochen.

Ein Jahr später sah die Sache schon anders aus. Die Eltern waren über Ostern nach Mallorca geflogen, Rixa und ich mussten mit der kleinen Anja ins Wochenendhaus zu Oma und Opa. Wir hatten gutes deutsches Aprilwetter mit Schnee, Regen und Kälte. Bei dieser Witterung mussten wir Opa helfen, mit Hilfe von zerbrochenen Glasscherben den alten Lack von den Holzbrettern zu kratzen. Von der Kälte und der ungewohnten Arbeit wurden unsere Finger schnell steif, Rixa schnitt sich in die Hand und fiel in Ohnmacht beim Anblick ihres eigenen Blutes, und wir fanden endgültig, dass dies ein Scheißostern sei. Später mussten dann die frisch angepflanzten Tannen von Gras und Unkraut befreit werden, und auch diese Arbeit hassten wir. Außerdem konnten uns an den Wochenenden unsere Freundinnen und etwaigen Verehrer nicht erreichen. Mit einem Wort, wir wollten lieber in der Stadt bleiben, als auf dem Land die Natur zu genießen.

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