Von den Verwandten meiner Mutter weiß ich mehr zu berichten, als von denen meines Vaters. Meine Urgroßmutter Anna Sophie Marie Catherine Thamm wurde am 27. September 1867 in Bovenau in Schleswig–Holstein geboren.

Sie war klein, zierlich und hatte lange braune Locken, die sie sich als Mädchen, als sie in einem Haushalt arbeitete, mit Zuckerwasser streng nach hinten kämmen musste, damit sie nicht die begehrlichen Blicke des Hausherrn auf sich zog. Sie heiratete meinen Urgroßvater Hermann Bruno Beck, der am 5. Juni 1862 in Leipzig geboren worden war, Kaufmann lernte und später die Buchführung in einer Werft führte. In Rendsburg, nahe der bekannten Hochbrücke über den Nord-Ostsee-Kanal, wohnten meine Urgroßeltern in einem Haus mit Garten und hatten zehn Kinder. Der Älteste war Bruno, dann kamen Hermann, Dorothee, Emil, Wilhelm, Karl, Christine, Helene, Irma und Max. Sie zogen auch das uneheliche Kind ihrer ältesten Tochter Dorothee als ihr eigenes mit auf. Das war Hugo. Dorothee hieß bei uns Tante Dolly, wohnte später mit ihrem Mann Kurt in Hamburg und war unsere Lieblingsgroßtante, die wir häufiger besuchten.

Im Haushalt meiner Urgroßeltern ging es sehr korrekt zu. Mein Urgroßvater zählte jedem Kind die Salmiakpastillen oder Kirschen einzeln vor, damit es keinen Streit gab. Bei Tisch saß er am Kopfende, die Kinder mussten stehen und in Reih und Glied an ihm vorbei defilieren, wobei er jedem eine Schnitte Brot mit Streichfett und eine einzige kleine Scheibe Wurst gab, die für die ganze Stulle reichen sollte. Dies war das sogenannte Schiebebrot, weil die Wurst mit vermehrtem Abbeißen auf der Schnitte immer weiter geschoben wurde.

Wenn meine Urgroßeltern auf der Chaussee gingen, eilte nach kurzer Zeit Sophie mit flinken Schritten voran. War sie ein gehöriges Stück entfernt, pfiff Bruno auf einer Pfeife und brüllte: "Sophie, bleib’ stehen!"

Meine Mutter liebte ihre Großeltern und erzählte meiner Schwester und mir häufig von ihrer glücklichen Zeit in Rendsburg. Die Geschichten handelten von Nachtlagern mit Cousinen und Cousins auf dem Dachboden, wo sich auch eine große Schaukel befand, von Theateraufführungen in der Gartenlaube, vom Baden im Nord – Ostseekanal und vom Umherziehen mit einem Handwagen, in den die jüngeren Kinder gesetzt wurden. Auch von einem sogenannten Mäusetunnel war die Rede, durch den man nur gebückt gehen konnte, und wo wohl mal eine Ziege entgegen kam, was zu Verwicklungen führte. Die Großmutter häkelte derweil Filetdecken und las dabei Romane. Meine Mutter kam schon als Säugling zu ihren Großeltern, da ihre Mutter mitverdienen musste und arbeitete. Als sie vier Jahre alt war, wurde ihre Schwester Irmgardt geboren und ihre Eltern holten sie nach Bremen. Sie weinte und wollte lieber bei ihren Großeltern bleiben.

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